Aus Gründen, welche für diesen Beitrag bedeutungslos sind, habe ich mir eine Serie des DDR-Fernsehens angeschaut, die in den Jahren 1975 und 1976 produziert wurde. DANIEL DRUSKAT wird heute mit dem modischen Begriff „Miniserie“ klassifiziert und bezeichnete sich damals als „Fernsehroman“.
Nicht aber diese Genrebezeichnungen sind es, die mich faszinierten, sondern ein dramaturgisches Phänomen, welches eine Zeit bestimmte, in der ich die ersten Gehversuche auf der Bühne unternahm. In meinen 3 Büchern über die Schauspielpädagogik hatte ich von der schauspielmethodischen Seite immer wieder beschrieben, dass sich in dieser Epoche die Lehren Stanislawskis, ein gewisses Verständnis von Brecht und das alte repräsentativ-deklamatorische Theaterverständnis vermischten. DANIEL DRUSKAT nun führte mir vor Augen, dass hinter jeder dieser Komponenten ein bestimmtes dramaturgisches Modell steckte, welches in der lebhaftesten Wechselbeziehung zur Schauspielkunst zu betrachten ist. Die drei Modelle seien im Folgenden kurz umschrieben.
- Das dramatische Modell: Im klassischen Sinne bestimmen Konflikte zwischen Figuren den Fortgang der Handlung. Das Handeln wird als stark betrachtet, weil Widerstände überwunden werden müssen und Entscheidungen zu treffen sind. Stanislawski hat dieses Modell seiner Etüdenarbeit zugrunde gelegt. Spannenderweise haben die Kontrahenten Druskat und Stephan solche Konflikte nicht. Sie sind und bleiben gute Freunde. Diverse Streitereien sorgen zwar für kurze emotionale Aufwallungen – haben aber wenig bis keine Konsequenzen auf das Verhältnis der Beiden. Druskat und Stephan waren und bleiben Freunde. Ihr Konflikt spielt sich ausschließlich auf der weltanschaulich-moralischen Ebene ab. So finden wir interpersonell ein merkwürdig undramatisches Geschehen. Der einzige Konflikt, den wir im dramatischen Sinn als relevant betrachten können, ist der der Hauptfigur mit seiner eigenen Vergangenheit – das Bestreben Druskats, seine persönliche Schuld durch edles Handeln auszulöschen. Vielleicht ist dies die Ursache für den oft nach innen gerichteten Blick von Hilmar Thate. Immerhin hat seine Figur mit anderen Menschen wenig, mit sich selbst aber alles abzuhandeln.
- Das „epische“ Modell: Das Wort „episch“ steht in Anführungszeichen, weil ich Brecht inzwischen anders verstehe, als es zu dieser Zeit üblich war. Damals stand Brecht beinahe synonym für den Stil einer Sachlichkeit, einer gewissen emotionalen Distanz und einer heftigen Abneigung dem Psychologisieren gegenüber. Sowohl der Art, in der viele Dialoge geschrieben worden sind, als auch dem sehr unterkühlten Spiel vieler Schauspieler finde ich dieses Verständnis von Brecht wieder – aus heutiger Sicht erscheinen viele Figuren nahezu versteinert. Es muss an dieser Stelle betont werden, dass die Sachlichkeit nicht in jedem Fall Distanz und Gefühlskälte beim Zuschauer hervorruft. Die Schauspielerin der Irene, Angelica Domröse, deren Spiel mich über weite Strecken unberührt gelassen hat, erreichte mich in dem Moment, als sie feststellte, dass ihre unheilbare Krankheit zurückgekehrt ist und sie bald sterben wird. Sie sagte in dem Moment ganz sachlich „Schade.“ Auf den folgenden Dialog über ihr baldiges Ableben hätte ich gern verzichtet: er erreichte die Größe dieses „Schade.“ nicht mehr. Natürlich gibt es in den Kontrahenten Druskat und Stephan zwei bemerkenswerte Ausnahmen. Thate kann durch die Konfliktlage seiner Figur gar nicht sachlich bleiben. Krugs Eigenart als Schauspieler lässt ihn immer wieder dramatisch agieren. Er ist der einzige, der im Dialog wirklich den Partner meint und in vielen Sätzen die Intention spüren lässt, auf seine Mitmenschen einzuwirken. Wahrscheinlich wirkt er dadurch auch so natürlich, und möglicherweise ist diese Eigenart auch für den Kultstatus verantwortlich, den seine Schauspielkunst in der DDR genoss. Seine Figuren wurden immer als menschlich nachvollziehbar empfunden, selbst in der Satire.
- Das deklamatorische Modell: Ich glaube, dass die Traditionen des repräsentativ-deklamatorischen Theaters viel länger auf die dramatische Kunst wirkten, als es den meisten Künstlern bewusst gewesen ist – selbst heute noch können wir sie bemerken. Im Drehbuch des DANIEL DRUSKAT finden wir jede Menge Dialoge, deren Sätze sich nicht zwangsläufig im dramatischen Sinn an den Partner richten, sondern eher als Formulierung von Standpunkten zu begreifen sind. In jedem der Filme werden wir auch Zeugen vieler Monologe zu verschiedenen Themen, welche nicht der Auseinandersetzung dienen, sondern Ideen der Figuren versinnlichen sollen. Es ist dies so eine Durchdringung des feudalen Theaters der Ideen und bürgerlicher Menschendarstellung, wie sie Rötscher im 19. Jahrhundert propagierte. So kommt es, dass auch Dialoge mitunter wie aufeinanderfolgende kurze Monologe wirken, die sich zwar thematisch, nicht aber dramatisch aufeinander beziehen. Man könnte viele der Szenen auch in einem Tableau auf der Bühne präsentieren, dessen Figuren sich beim Sprechen nicht unbedingt ansehen müssen.
Für denjenigen Zuschauer, der sich auf die Zeitreise einlassen möchte, ist DANIEL DRUSKAT ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich verschiedene dramaturgische Modelle und die damit verbundenen Schauspielstile wechselseitig durchdringen.