Kultur vs Ideologie (1)

Wenn Autoren, Regisseure oder Schauspieler über die message ihrer Kunstprodukte besorgt sind, erlebe ich häufig Reden über Kunst statt Arbeit an der Kunst. Diese Verschiebung der Aktivitäten erkläre ich mir mit dem fundamentalen Unterschied, welchen ich zwischen Kultur und Ideologie ausmache und über den ich die nächsten Beiträge schreiben werde.

Ein Kunstwerk lässt sich trefflich – und davon kann ich als Dramaturg ein schönes Liedchen singen – ideologiekritisch analysieren. Meist haben wir einen historischen oder starken weltanschaulichen Abstand zum Werk, der uns eine solche Analyse ermöglicht. Der schaffende Künstler allerdings sollte sich vor diesen Analysen hüten. Macht er sich diesen kritischen weltanschaulichen Abstand zu eigen, öffnet er einer Selbstzensur die Tore, mit der er seine eigene Kunst irreparabel beschädigt.

Es ist seit einiger Zeit in die Mode gekommen, dass Firmen, die kreative Inhalte produzieren, ideologische Berater engagieren. Sie treten uns entweder als Beraterfirmen wie SweetBaby oder sogenannte sensitivity reader entgegen. Für Investoren soll eine derartige ideologische Beratung attraktiver wirken, erhöht einen bestimmten „score“ und damit die Chance auf Finanzierung. Das – und natürlich auch ein gewisser öffentlicher Druck – verführt Künstler nicht selten dazu, vermutete Standpunkte einer solchen ideologischen Beratung in vorauseilendem Gehorsam zum Teil ihres kreativen Prozesses zu machen. Die Gründe sehe ich einerseits in der Hoffnung auf bessere Erfolgschancen und andererseits darin, dass die Weltanschauung solcher ideologischen Beratungen geteilt wird.

In der DDR, deren Kulturpolitik sich immer wieder ideologisch einzumischen suchte, hatten wir zwei Arten von Künstlern, die die marxistische Weltanschauung teilten. Die einen sahen sich derart als Diener der Partei, dass man deren Ideologeme nahezu ungefiltert in ihrer Kunst wiederfand. „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“ von Fürnberg oder „Sag mir, wo du stehst“ von Hartmut König sind faszinierende Beispiele eines von Ideologie dominierten Kunstverständnisses. Andere Künstler fühlten die Liebe zum Kommunismus, ohne sich zum ideologischen Sprachrohr der herrschenden Partei zu machen. Brecht oder Heiner Müller teilten zwar kulturelle und weltanschauliche Werte mit den Kommunisten, gerieten aber immer wieder in Konflikte mit dem System. Und jetzt raten Sie einmal, lieber Leser, wessen Kunstwerke die Zeiten überdauert haben.

Unterrichte ich Schauspieler oder Drehbuchautoren, warne ich vor Selbstzensur, also davor, die Arbeit ideologischer (oder anderer moralischer) Berater mit zu machen. Das sind Filtersysteme, welche Firmen eingebaut haben und die in den Köpfen der Künstler nichts zu suchen haben.

Kulturelle Werte werden immer in unseren Kunstwerken sichtbar werden. Das können wir nicht verhindern. Wir müssen es allerdings auch nicht als ideologische Pflichtübung forcieren, indem wir uns übertriebene Sorgen um die message machen.

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