Während meiner Arbeiten im Bereich Stoffentwicklung bin ich sehr oft zu den Ausgangspunkten einer Geschichte zurückgekehrt, wenn im Plot oder der Figurengestaltung Unstimmigkeiten zu bemerken waren. Dieses Vorgehen war meist erfolgreich und half sogar bei Schwierigkeiten, welche erst im letzten Drittel eines Drehbuches oder Theaterstücks bemerkbar wurden. Der Versuch, diese Erfahrung zu verallgemeinern, zog meinen Geist verständlicherweise zu dramaturgischer Terminologie. So gelangte ich zu dem Schluss, dass eine gelungene Exposition das Fundament einer guten Geschichte sei.
Von dieser Idee war ich derart begeistert, dass ich sie mit einem befreundeten Redakteur diskutieren musste, der in seinem Leben tausende Drehbücher gelesen haben mag. Der zuckte bei meinem Loblied auf gelungene Expositionen zusammen und versicherte mir, eine Reihe schlechter Drehbücher gelesen zu haben, die eine nahezu manische Sorgfalt auf ihre Expositionen verwendet hatten. Aus diesem Gespräch zog ich zwei Lehren:
- Ich verstand unter einer gelungenen Exposition wahrscheinlich etwas ganz anderes als mein Freund. Also suchte ich einen anderen Begriff für das was er mir beschrieben hatte und fand die beflissene Exposition. Eine solche will sicherstellen, dass jeder Leser (oder Zuschauer) die detaillierte Vorarbeit der Autoren goutieren kann, dass klar ist: wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und hoffen auf die Note 1. Das Publikum derartiger Expositionen erlebt einen Bombenteppich an Informationen, die zwar nicht interessant, aber nahezu vollständig sind. Wir erfahren Vieles, was keine Relevanz für die Geschichte hat – erzählerisch also komplett überflüssig ist.
- Weiterhin wurde mir klar, dass eine gelungene Exposition zwar das Interesse der Zuschauer weckt, nicht aber gleichzusetzen ist mit dem, was ich als obligatorisches Element einer guten Geschichte erfahren hatte. Ich musste also nach einer anderen Verallgemeinerung meiner Erfahrungen suchen.
Glücklicherweise habe ich mehr als 30 Jahre lang Schauspieler unterrichtet. Die Etüden während der Grundlagenarbeit gleichen im kreativen Prozess sehr einer Stoffentwicklung. Es ist mir noch nie eingefallen, den Begriff Exposition in diesem Zusammenhang zu verwenden, da er für die schauspielerische Arbeit keinerlei Relevanz besitzt. Was aber sowohl in der schauspielerischer Arbeit als auch beim Schreiben von Drehbüchern/Theaterstücken relevant ist, sind die gegebenen Umstände – in Deutschland besser bekannt als die 5-W-Fragen. Bei beflissenen Studenten konnte man dasselbe erleben wie bei den Autoren beflissener Expositionen. Sie setzten sich unter Druck, dass möglichst all ihre Vorbereitung während ihrer Etüde klar sichtbar sein sollte. In beiden Fällen ist die Beflissenheit das Ende der Kreativität, welche gute Ideen schon im Keim erstickt. Umgekehrt hingegen sehen wir eine unangenehme Nebenwirkung der Vorstellung, eine Vorbereitung (also gegebene Umstände, Hintergründe und Vorgeschichten) müssten eins zu eins in den Szenen ausgedrückt werden: was nicht dargestellt oder in Handlung und Dialog gepackt werden kann, was also dem Publikum nicht sichtbar ist, müsse man auch nicht vorbereiten.
Hemingway, der große Erzähler, verglich Geschichten mit einem Eisberg: der größte Teil davon ist nicht sichtbar. Als erzählende Künstler – das schließt Schauspieler und Drehbuchautoren mit ein – müssen wir Vieles erarbeiten, was nicht direkt sichtbar ist, jedoch das Fundament unserer Geschichte bildet. Tun wir dies nicht, gerät unser Eisberg aus dem Gleichgewicht und muss mit willkürlichen Kunstgriffen in seiner Position gehalten werden.
Der aufmerksame Rezipient wird während eines Filmes Fragen stellen, welche darauf hinweisen, dass das erzählerische Werk keine Basis hat und das Sichtbare deutliche Anzeichen der Willkür aufweist. Spannenderweise lässt sich eine solche Willkür auch bei Schauspielern beobachten. Sätze wie: „Das behaupten wir jetzt einfach“ sind deutliche Hinweise auf ein solches Vorgehen. Stanislawski hat in seinen späten Jahren die Methode der aktiven Analyse erfunden, um einer solchen Willkür vorzubeugen. Seine Schauspieler erarbeiteten sich über Etüden ein Fundament aus gegebenen Umständen, welches sie lebendig und organisch zu dem führt, was der Autor in eine Textform gegossen hat. Ein sehr großer Teil ist dem Zuschauer nicht direkt sichtbar – er spürt jedoch, dass die Teile, welche er sieht, durch einen unsichtbaren Hintergrund organisch zusammenpassen. Bei Drehbüchern sollte es ein ähnliches Fundament geben, was die erzählten Begebenheiten organisch verknüpft.