Als Dramaturg muss ich mich verständlicherweise mit den Eigenheiten der Sprache beschäftigen, ist das geschriebene Wort doch das Erste, was mir entgegen lächelt, wenn ich ein neues Stück oder Drehbuch in die Finger bekomme – sei es zum Zwecke der Realisierung oder zur Stoffentwicklung. Auf meiner Suche nach einer idealen Aufführung forsche ich permanent danach, was Sprache implizieren kann und was eben auch nicht.
Dass ich das Thema der Gendergerechtigkeit in der Sprache irgendwann einmal durchdenken muss, liegt nicht nur in der Natur meines Berufes. Es liegt auch in der Natur des Milieus, in dem ich diesen Beruf ausübe. Lange, etwa 50 Jahre lang, hat es gedauert, bis die Idee des so genannten Genderns ihren Weg von avantgardistischen Eliten der Gesellschaftswissenschaften in die Köpfe der meisten Gesellschaftswissenschaftler, Künstler, Pädagogen und Journalisten gefunden hat. Sie lässt sich also auch innerhalb meines Milieus nur noch schlecht ignorieren. Es liegt ihr ein Axiom zugrunde, nach dem die Sprache unser Denken und Handeln beeinflusst. Und wie dies bei Axiomen so ist, muss dies nicht bewiesen werden und bildet die selbstverständliche Basis für alle anderen Überlegungen. Praktisch am Axiom ist es auch, dass nicht weiter untersucht werden muss, in welcher Weise die Sprache unser Denken und Handeln beeinflusst. Meiner bescheidenen Meinung nach steckt die Forschung zu diesem Thema noch in den sprichwörtlichen Kinderschuhen.
Ich möchte dieses Axiom gern in Frage stellen, da es mir nicht geeignet scheint, die komplexen Wechselwirkungen zwischen Sprechen, Denken und Handeln auch nur im Ansatz zu verstehen. Außerdem gibt es einige praktische Überlegungen, welche mich an der Sinnhaftigkeit des Axioms zweifeln lassen.
Eine davon ist das generische Maskulinum und seine Bedeutung für die Konsolidierung dessen, was als Patriarchat bezeichnet wird. Die Befürworter einer gendergerechten Sprache sind der Ansicht, dass unser generisches Maskulinum ein wichtiges Fundament des Patriarchats darstellt und dieses nur gestürzt werden kann, wenn die Pluralformen unserer Sprache mit einem Sternchen gewürzt werden. Wer sich diesem Sprachwandel widersetzt, kann dadurch leicht als Feind der Gleichberechtigung und Befürworter einer binären, heteronormativen Gesellschaft entlarvt uns gebrandmarkt werden. Für die Freund-Feind-Erkennung ist dies natürlich sehr praktisch. Man muss eben nur dazu an das genannte Axiom glauben, man muss also voraussetzen, dass es ein unzertrennbares Band zwischen den Geschlechterunterschieden in der Sprache und der Realität gibt, dass also eine enge Korrelation zwischen Geschlechtsmarkierungen in der Sprache und dem Umgang der Geschlechter miteinander in der Gesellschaft besteht. Verlassen wir einmal den engen Horizont unserer Muttersprache, so müssen wir feststellen, dass es Sprachen auf der Welt gibt, die völlig ohne Geschlechtsmarkierungen auskommen. Diese sind also auffällig genderneutral, gendergerecht und genderinklusiv. Bei allgemeiner Gültigkeit des Axioms sollten Kulturen mit einer solchen Sprache ein gerechteres und inklusiveres Verhältnis von Männern und Frauen zu Folge haben und keinen Nährboden für ein binäres und heteronormatives Gesellschaftskonzept bieten. Nun ist unglücklicherweise nicht nur das Finnische eine solche Sprache, sondern auch das Japanische und das Türkische.
Mein zweiter Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Genderns ergibt sich aus der Kritik des generischen Maskulinums selbst. Es wird behauptet, dass dieses die Frauen unsichtbarer machen würde als eine Burka. Diese abenteuerliche Schlussfolgerung ergibt sich zunächst aus einer Interpretation deutscher Pluralformen und Berufsbezeichnungen. „Die Ärzte“ wird als ausschließlicher Plural der männlichen Form interpretiert, so alle Ärztinnen unsichtbar machend. Ich möchte dieser Debatte noch eine eigene Interpretation schenken, die ich wenigstens bisher noch nirgendwo gelesen habe.
Betrachten wir einmal die Pronomen und Artikel in ihrer Pluralform, so müssen wie feststellen, dass sie auffällig der weiblichen Form gleichen. Benutze ich das Personalpronomen „sie“ oder die Possesivpronomen „ihr“ beziehungsweise „ihre“, so ist ohne Kontext nicht klar, ob ich damit eine einzelne weibliche Person (die Ärztin) oder eine Gruppe von Menschen (die Ärzte) meine. Dasselbe trifft auf den Artikel „die“ zu. Mit einer gewissen paranoiden Energie könnte ich daraus eine Theorie konstruieren, nach der die Männer durch Artikel und Pronomen unsichtbarer gemacht werden als durch eine Tarnkappe. Oder ich bin weniger paranoid und behaupte, dass die natürliche Evolution unserer Sprache auch ohne ideologische Eingriffe für einen Ausgleich gesorgt hat. Liebe Leser – auch das sind Interpretationen, die durch nichts bewiesen sind.
Wie aber sind die Ergebnisse von Studien zu verstehen, die zu belegen scheinen, dass sich Frauen und Mädchen durch das generische Maskulinum nicht gemeint fühlen? Abgesehen vom jeweiligen Design einer Studie kann ich mir vorstellen, dass es einen Effekt hat, wenn Frauen 50 Jahre lang vermittelt wird, dass sie mit dem generischen Maskulinum nicht gemeint sind. Eine so nachhaltige Agitation muss irgendwo in den Hirnen einen neuen Kontext erschaffen – nur ist dieser nicht das Resultat eines Patriarchats sondern einer Dauerbeschallung mit bestimmten Ideen.
Warum aber verwendet man so wenig Mühe darauf, das Verhältnis der Geschlechter zueinander in seiner Komplexität zu verstehen und nach Möglichkeiten zu suchen, wie jeder Mensch seinen Bedürfnissen entsprechend das beste und erfüllteste Leben führen kann? Nun, erstens ist es viel einfacher, ein Sternchen in Pluralformen zu quetschen und zweitens wurde das Denken fortschrittlicher Menschen im Abendland durch einen Mann und sein Werk in einer Weise geprägt, die auch heute noch sehr bedeutsam ist.
Der Mann hieß Mao Zedong, und sein Werk war die „Große Proletarische Kulturrevolution“. Die Faszination dieser Idee für die revolutionären Denker des Westens war die, dass sie sich hauptsächlich auf die Gebiete der Geisteswissenschaften und der Kultur beschränkte und sich nicht mit den Mühen ökonomischer und gesellschaftlicher Realitäten befasste. Die intellektuellen Schuster konnten so bei ihren Leisten bleiben und sich auf diejenigen Felder des Lebens stürzen, auf denen sie sich daheim fühlten. Der durch Mao angezettelte „Krieg der Symbole“ war und ist ein Tummelplatz willkürlicher sprachlicher Festlegungen und Tabus, der Entlarvung und Marginalisierung scheinbarer Feinde. Auch die „Große Proletarische Kulturrevolution“ nahm ihren Anfang bei den chinesischen Studenten. Zunächst entlarvten sie die Feinde als Unmenschen – später schlugen sie sie tot.
Fragte man mich, warum ich nicht gendere, so würde ich antworten: „Weil ich kein Maoist bin.“ Es fällt mir schwer, mich in eine geistige Tradition zu stellen, die nach einigen Schätzungen in China fast genauso viele Tote erzeugt hat wie der Zweite Weltkrieg und die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten. Nennt mich einen ewig Gestrigen aber lasst mich bitte am Leben.