Kultur vs Ideologie (2)

Ich möchte den Unterschied zwischen Kultur und Ideologie jetzt einmal an der Serie MAD MEN beschreiben, die ich bereits an anderer Stelle lobend erwähnt hatte.

Die Serie beginnt Ende der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Es war dies eine Zeit, als noch patriarchale Verhältnisse bestanden, sich das Blatt aber weiter zugunsten der Frauen wendete. Ohne anklagende Untertöne erleben wir als Zuschauer das traditionelle Verhältnis von Männern und Frauen in vielen alltäglichen Situationen. Die Männer erscheinen nicht als bösartig, werden oft sogar als liebevoll gezeichnet. Sie wirken eher gedankenlos, stellen die Normalität der bestehenden Verhältnisse nicht in Frage. Einige wenige Frauen fordern dies heraus – jedoch nicht, indem sie große anklagende Reden über das Patriarchat halten, sondern für sich einen unabhängigen Lebensstil verteidigen. Es sind aber wenige. Die meisten Frauen akzeptieren die Normalität ihrer Position.

Fast forward. Heute, im Jahr 2024, ist die Gleichberechtigung der Frauen Bestandteil unserer Kultur geworden – und im Prinzip war sie dies auch 1999, als das erste Drehbuch geschrieben wurde. Dieser kulturelle Wert bestimmt die Perspektive, mit der die Geschehnisse der Vergangenheit betrachtet werden. Das Patriarchat erscheint als ein kulturelles System, in dem sich die meisten Menschen eingerichtet haben. Niemand ist hier besonders edel oder bösartig. Die Benachteiligung und Diskriminierung der Frauen erleben wir in einem Bombardement alltäglicher Handlungen. Die Normalität des Geschehens genügt, um Befremden zu erzeugen – die Macher der Serie haben dies einkalkuliert, so dass der Zuschauer in der Validität modernerer kultureller Werte bestätigt wird. Diese kommen sozusagen organisch zum Vorschein, in dem die Geschichten erzählt werden – sie muss nicht ständig explizit betont werden.

Vergleichende Dramaturgie ist ein wunderbares Instrument der Analyse. Sehen wir uns stattdessen die Serie SHE-HULK an, so können wir begreifen, wie primitiv und unkünstlerisch Ideologisierung wirken kann. Finden wir in MAD MEN kompetente Männer, die durchaus mit sich reden lassen, werden wir in SHE-HULK mit inkompetenten Tyrannen konfrontiert, welche die kompetenten und starken Frauen mit Gewalt an ihrem Platz halten wollen. Wir lernen in Werken wie SHE-HULK zwei wesentliche Elemente ideologisierter Kunst kennen: eindeutige Feindmarkierung und explizite ideologische Bekenntnisse.

Wer sich ein wenig mit Maos Kulturrevolution befasst hat wird beide Elemente bereits kennengelernt haben: der böse Feind, den man für das Leid vieler Unschuldiger verantwortlich machen kann und das Signalisieren der Treue zum aktuellen Stand der Ideologie. Gerade der letzte Teil ist enorm wichtig. Die Formulierung der ideologischen Pflichtübung, welche Worte jetzt benutzt werden müssen und welche keinesfalls mehr benutzt werden dürfen, ist ein überlebenswichtiger Faktor, an welchem sich eindeutig die ideologische Zuverlässigkeit des jeweiligen Akteurs ablesen lässt.

Maos Kulturrevolution kann auch als ein Krieg der Symbole verstanden werden. Indem in SHE-HULK der klassische, „patriarchalische“ Hulk vom Sockel gestürzt wird, soll ein feministisches Symbol an seine Stelle gesetzt werden. Dies ist ebenso ein Krieg der Symbole wie die Ablösung des generischen Maskulinums das sprachliche Symbol des Patriarchats zerschmettern soll. Die Bekenntnis zu Symbolen der „neuen Zeit“, die Vernichtung der Symbole der „alten Zeit“ ist hierbei nicht nur als magisches Denken zu verstehen. Es kann auch als ein Sonderfall eines eindeutigen ideologischen Bekenntnisses gewertet werden, welches signalisiert, dass man auf der „richtigen“ Seite steht, also zu den „Guten“ gehört.

MAD MEN zerstört weder alte Symbole, noch werden neue an ihre Stelle gesetzt. Durch die Erzählweise scheint die kulturelle Sicht der Macher immer wieder durch – in den Geschichten der Hauptfiguren erleben wir die Erosion des Patriarchats als historischen Prozess, ohne mit Uraniavorträgen, Feindmarkierungen und ideologischen Eingriffen in die Symbole eine bestimmte politische Haltung in den Kopf gehämmert zu bekommen.

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