Um mich etwas klarer auszudrücken, werde ich in diesem Beitrag weniger über Kunst und mehr über das Leben sprechen.
Gerade in den letzten Jahren hat sich in der Frage des Umganges mit Transpersonen eine Entwicklung manifestiert, welche mir die Differenz zwischen Kultur und Ideologie besonders eindrucksvoll vor Augen geführt hat.
Ich möchte auf der Seite der Kultur beginnen, der kulturellen Wurzeln also, die meine Werte geprägt haben. Neben allgemeinen abendländischen Einflüssen, nach denen jeder Mensch unabhängig von seiner Person gleiche Rechte haben sollte und Konflikte zivilisiert und ohne Gewalt gelöst werden sollten, steht für mich ein deutsches Sprichwort für einen kulturellen Wert bürgerlicher Gesellschaften: „Jeder Mensch ist seines Glückes Schmied.“ Danach sollte jeder Mensch über den individuellen Weg zu seinem Glück selbst entscheiden und in dieser Entscheidung auch respektiert werden. Dies steht für mich im Gegensatz zu Kulturen, in denen Lebenswege durch Staat, Religion oder Tradition reglementiert werden. Dabei glaube ich nicht, dass meine Kultur besser sei als andere – sie hat jedoch sowohl meine Werte als auch meine biographischen Entscheidungen wesentlich beeinflusst. Und auf Grund dieser meiner kulturellen Prägung ist es für mich selbstverständlich, biographische Entscheidungen meiner Mitmenschen auch dann zu respektieren, wenn ich selbst sie ganz anders treffen würde. Wenn mich also ein Mensch, den ich bisher als Klaus Dieter kenne, mich bittet, ihn ab sofort Klara zu nennen und weibliche Pronomen zu benutzen, werde ich diesem Wunsch aus Respekt gern nachkommen.
Das ist, wie viele Menschen einwenden werden, nicht immer typisch deutsches Verhalten. Zu meiner kulturellen Prägung gehören neben dem Elternhaus auch noch der Freundeskreis meiner Jugend und mein Berufsweg an Theatern, in denen selbst in der DDR eine größere Freiheit bestand, sich individuell auszudrücken. Das sozial stark reglementierte Umfeld des Dorfes, in dem ich aufwuchs, stieß mich so ab, dass ich den Weg in die größeren Städte und auch in andere Länder suchte. Ich bin sicher, dass die Lektüre von Karl May und Alexandre Dumas diese Sehnsucht nach individueller Selbstverwirklichung bestärkt hat. Während meiner Jugend habe ich oft Brecht für sein unkonventionelles Verhalten in Augsburg beneidet. In den großen Städten und im Ausland lernte ich Menschen mit einer ähnlichen Sehnsucht kennen, die mich auch mit geprägt haben.
Kulturelle Prägungen und Verwurzelungen stellen sich also als ein sehr feines Geflecht verschiedener Lebensumstände und auch konsumierter Kunst dar. Sie sorgen dafür, dass mir gewisse Werte wie eine „zweite Natur“ vorkommen, die ich selbst nicht gut von meinen Instinkten unterscheiden kann und deren Genesis nur schwer zu rekonstruieren ist. Wenn also ein Mensch, der in meiner Wahrnehmung einem Manne gleicht, mich bittet, ihn als Frau zu adressieren, habe ich ein natürliches Bedürfnis, diesem Wunsch zu entsprechen, weil er meinem Mitmenschen wichtig zu sein scheint. Das ist in mir eine sehr nachhaltige kulturelle Prägung. Ich hätte mich sicher auch vor dreißig Jahren ähnlich verhalten.
Kulturelle Prägungen allerdings sind konservativ, selbst wenn sie unkonventionelle Lebensentwürfe respektieren. Sie sind das Resultat sehr langfristiger Prozesse und taugen selten für revolutionäre Umgestaltungen. Ideologien hingegen orientieren sich viel mehr aufs Tagesgeschäft, ihre Inhalte können sehr schnell angepasst werden, und die Feindmarkierung erlaubt das Maß an Aggression, welches für eine revolutionäre Umgestaltung hilfreich scheint. Ideologie muss daher auch einfach und klar sein, damit man sie sofort verstehen und umsetzen kann.
In der Frage des Umganges mit Transpersonen erfüllt die moderne Ideologie beide Anforderungen. Der Satz „Transfrauen sind Frauen.“ wird häufig mit dem geschriebenen „Punkt.“ ergänzt, um klarzumachen, dass dieses Dogma keinen Widerspruch duldet. Es ist ein Dogma, welches sogar die Biologie erobern möchte und mit großer Aggressivität durchgesetzt wird. Es erlaubt eine unkomplizierte Feindmarkierung. Wer dem Dogma nicht wörtlich folgt, ist ein böser Mensch, der Transpersonen ihre Existenz abspricht. Seine Menschenverachtung rechtfertigt auch drastische Maßnehmen gehen ihn.