Kritik der eigenen Analyse (BABYLON BERLIN 4)

Ein Leichtes ist es, vergangene Fehler in einem Blog zu korrigieren und vorzugeben, sie wären nie gemacht worden. Der hierdurch beabsichtigte Anschein der Genialität allerdings ist ebenso langweilig wie unwissenschaftlich.

Die wissenschaftliche Methode besteht unter anderem darin, bereits Erkanntes in Frage zu stellen und so zu Neuem zu gelangen. Eine dramaturgische Analyse sollte sich diesem Maßstab ebenso stellen.

Meine Fehler, welche ich hier kritisieren möchte, fallen in die Kategorie false memory. Dinge, die wir erinnern, stimmen nicht immer mit der Realität, der Welt außerhalb der eigenen Gedanken, überein. Dies ist ein alltäglicher psychischer Vorgang, unter welchem natürlich auch eine dramaturgische Analyse leiden kann. Während meiner bisherigen Analyse bin ich auch einige Male dem false memory zum Opfer gefallen – die Gründe für meine falschen Erinnerungen sind durch aus spannend und, wie ich finde, dramaturgisch höchst relevant.

So hatte ich beispielsweise behauptet, Charlotte hätte sich ihres Harndranges nicht entledigen können, bevor sie das Stöhnen des zitternden Kommissars bemerkt. Zu meiner Überraschung bemerkte ich beim wiederholten Ansehen der Szene, dass sie sich auf die Toilette setzt, bevor sie das Elend in ihrer Nachbarkabine wahrnimmt. Das, lieber Leser, hatte ich komplett vergessen! Der Grund dafür mag darin liegen, dass Charlotte kein Zeichen der Entspannung zeigt, nachdem sie sich aufs Klo gesetzt hat und auch kein Plätschern zu vernehmen ist. Dies mag eine Kleinigkeit sein, hat aber offenbar in meiner Erinnerung den Eindruck hinterlassen, sie hätte nicht gepinkelt. Dramaturgisch von Belang erscheint es mir, weil es Einfluss auf die wahrgenommene Story hat, denn auch diese kann sich von dem unterscheiden, was die Autoren beabsichtigt haben.

Während des erneuten Ansehens sind mir dann noch weitere Details aufgefallen: Charlotte entscheidet sich nicht sichtbar, dem Kabinennachbarn zu helfen, sondern tut es einfach. In Anbetracht des sittlichen Anspruches, der damals, und vor allem in der Polizei, geherrscht hat, war es vielleicht doch nicht eine solche Lappalie, als Frau in einer Männertoilette zu sitzen. Wenig später erfahren wir in einem Dialog mit Rath, dass sie im Gegensatz zu diesem genau weiß, dass es im Präsidium 52 Toiletten für Herren und nur 5 für Frauen gibt. Sie kennt also die genaue Anzahl der jeweiligen Toiletten und weiß nicht, wo die wenigen für ihr Geschlecht zu finden sind? Die Vorgeschichte zu diesem rein lexikalischen Wissen würde mich brennend interessieren. Stand das in einem Informationsblatt, das sie auswendig gelernt hat? Oder konnte sie Kolleginnen belauschen, die sich darüber unterhielten? Und nach dieser Information hat sie sich nicht dafür interessiert, wo diese 5 Toiletten zu finden sind? Sie hat doch nach dem was ich weiß, ihre Arbeit bei der Polizei nicht erst vor 5 Minuten begonnen, sondern wenigstens vor einem Tag. Musste sie also bisher nicht? Ach ja und am Ende der Szene hätte ich mir gewünscht zu sehen, wie es Gereon Rath gelingt, unbemerkt mit vollgepisster Hose durch das Präsidium zu kommen. Um dieses Vergnügen wurde ich leider gebracht.

Was ich also aus meinem false memory und den neu entdeckten Details lernen konnte, ist die Bedeutung der Fabeldefinition des alten Aristoteles : Die Verknüpfung der Begebenheiten. Die vielen Begebenheiten, die mir in BABYLON BERLIN geboten werden, sind nicht wirklich miteinander verknüpft. Das Drehbuch zählt Ereignisse auferzählt aber keine Story (Fabel).

Ein anderes false memory hat die wahrgenommene Geschichte beeinflusst. Mehrfach schimpfte ich über die – in meiner Erinnerung – endlosen Vorträge Wolters über die Kriegszitterer, welche Rath im Auto über sich ergehen lassen muss. Beim erneuten (diesmal dem dritten) Ansehen bemerkte ich, dass Wolter nur wenige Sätze spricht und die Sequenz gar nicht so lang ist wie in meiner Erinnerung. Ich schreibe dies zwei Faktoren zu. Zum Ersten dient die Sequenz der reinen Information des Publikums über Kriegszitterer und beinhaltet keinen szenischen Konflikt, der ausgefochten werden müsste. So gesehen ist jedes gesprochene Wort überflüssig. Die Parallelmontage mit dem Weg Charlottes ins Präsidium verlängert die erlebte Zeit genau um die Dauer dieser Zwischenszenen.

Und einen dritten Fehler meinerseits möchte ich beichten. Ich hatte kritisiert, das Rath gleich zu Beginn seiner Arbeit in Berlin einen Hypnotherapeuten gefunden hatte. Beim erneuten Ansehen der Eröffnungsszene des Piloten stellte ich fest, dass die gezeigten Rückblenden Ereignisse der ersten Staffel enthielten, die ich ja noch gar nicht gesehen hatte. In der Rückschau also könnte Rath den Therapeuten erst nach den Begebenheiten der ersten Staffel gefunden haben. Wie aber hätte ich das zu Beginn des Piloten einordnen können?

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