Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass ich im vorigen Beitrag vor allem die Beziehung zwischen idealen und real existierenden Schauspielern in den Mittelpunkt gerückt habe und dem intendierten Schauspieler eine eher stiefmütterliche Randbemerkung gegönnt habe.
Wenn ich jetzt schreibe, dass der intendierte Schauspieler im Kopf des Regisseurs und der ideale im Kopf des Dichters bestehen würde, mag dies, oberflächlich betrachtet, stimmen – jedoch möchte ich das Thema ein wenig vertiefen.
Der ideale Schauspieler lässt sich ausschließlich aus dem Text zurechtphantasieren, wo er einige Spuren hinterlassen hat. Wirklichen Könnern der schreibenden Kunst gelingt in ihren Texten die Suggestion hervorragenden Schauspiels. Das betrifft sowohl den Theater- als auch den filmischen Bereich. Autoren, die ihren Beruf weniger gut beherrschen, suggerieren in ihren Texten deutlich schlechtere Schauspielkunst. Ihr idealer Schauspieler ist ein Stümper.
Der von mir hoch verehrte Schauspieler Alan Rickman bekam einmal die Rolle des Sheriffs von Nottingham angeboten, welche er nach Durchsicht des Drehbuches ablehnte. Offenbar hatte er gespürt, dass der dort suggerierte ideale Schauspieler ein wirklich gutes Spiel erschwert, wenn nicht gar verhindert hätte. Erst die Zusage, er könne mit seiner Rolle machen was er wolle, bewegte ihr zur Annahme. Nun war damit aber das eigentliche Problem noch nicht gelöst. Rickman (und nicht der Regisseur!!!) mag im Kopf gehabt haben, wie er die Rolle spielen möchte, einen intendierten Schauspieler also – jedoch stand der ideale des Drehbuches dazu noch in lebhaftem Widerspruch. Der real existierende Schauspieler wusste genau, dass er Veränderungen in den geschriebenen Szenen und vor allem neue Dialoge benötigen würde, um seine Intentionen zum Leben zu erwecken. Heimlich bat er die Autoren Peter Barnes und Ruby Wax um Hilfe, und zu seinem Glück akzeptierte die Regie die so entstandenen Vorschläge. Jetzt entsprach der ideale Schauspieler dem intendierten. Rickmans Performance wurde ausgezeichnet, obwohl der Film insgesamt doch recht gemischte Kritiken erhielt.
An diesem etwas drastischen Beispiel sehen wir, dass es einer Realitätsverweigerung gleicht, den intendierten Schauspieler komplett unabhängig von idealen zu betrachten. Aber mehr davon im nächsten Beitrag…