Endlich konnte ich wieder meiner Liebe zum Freilichttheater nachgehen! Zumindest als begeisterter und leider auch dramaturgisch denkender Zuschauer.
Auf einer wunderschön ausgestatteten Freilichtbühne folgte ich einer Geschichte aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Ich sah nicht nur eine Kulisse, die bei Dunkelheit und künstlicher Beleuchtung sogar noch einen größeren Reiz entfaltete, die Figuren hatten sehr schöne und angemessene Kostüme, waren anspruchsvoll arrangiert – ihr Schauspiel war teilweise überraschend gut. Auch die Musik fügte sich auf hoher Qualität in diesen Kontext ein. Aktuelle und durchaus witzige Anspielungen über Wahlen im nächsten Jahr, schwedische Küche und Möbel und andere Bemerkungen aus dem Bereich des Kalauers mögen Geschmacksache sein – persönlich mag ich so was auch in historischen Stücken.
Ich fühlte mich also überwiegend gut unterhalten. Da ich unglücklicherweise auch Dramaturg bin, war ich zu Beginn einige Male gestört und im letzten Viertel des Stückes sogar regelrecht verärgert. Davon möchte ich berichten.
Dass einige Szenen ein Expositionsmassaker waren und man die Zuschauer auch anders hätte in die Geschichte einführen können, als durch geopolitische Uraniavorträge der Figuren, schenke ich mir. Der Inszenierung gelang es trotzdem, das Publikum in die Story zu ziehen. Die fehlende Eleganz der Exposition ist Kritik auf einem sehr hohen Niveau.
Störender empfand ich etwas, was ich Effekthascherei nennen muss. Ich liebe Freilichttheater und auch Stücke, die an die Mantel-und Degen-Filme angelehnt sind und dem Publikum mit Pferden, Gefechten und malerischen Volksszenen einen Schmaus bieten, den andere Theaterformen missen lassen. Sind solche wünschenswerten Effekte aber keine Varianten, eine Geschichte zu erzählen, sondern sollen einfach nur etwas Leben in die Bude bringen, stehe ich einem solchen Unterfangen kritischer gegenüber. Sind die Szenen so schwach, dass sie nicht von sich aus zu interessanten Konflikten oder Schlägereien führen können? Muss ich sehen, wie jemand – unabhängig von der Handlung – schräg über die Bühne reitet, um sein Pferd zum Hufschmied zu bringen. Dieser Reiter ist ein Mensch, der immer wieder mit dem Pferd das Geschehen beleben soll, ohne dass ich genau weiß, wer das ist und in welcher Beziehung er zur Handlung steht. Auch die Dialoge zu Pferde wurden immer wieder dadurch „belebt“, dass eine der Figuren – unmotiviert – während des Gespräches eine kleine Runde auf der Bühne ritt. Welche Botschaft sendet dies an den Partner? Das Gespräch mit dir interessiert mich nicht mehr so brennend, also reite ich mal ein wenig durch die Gegend und sehe mir die Häuser genauer an. Und weil ich ein Mikroport habe, kannst du ja auch so verstehen, was ich sage? Nun ist es nicht so, dass die Regie nicht gewusst hätte, wie man Beziehungen zwischen handelnden Figuren organisiert. Beim letzten Kampf zwischen der Heldin und dem Schurken nimmt das anwesende Volk interessiert und mitvollziehend Teil, so das ein Bild und eine Handlung entstehen, die den Fokus auf dieses erzählerisch wichtige Gefecht lenkt.
Geärgert habe ich mich aber wirklich erst im letzten Viertel. Der Held und die Heldin haben einen Komplott aufgedeckt, zu dessen Verhinderung unbedingt ein schwedischer General informiert werden muss. Und weil die Heldin zufällig auch die schwedische Kronprinzessin ist, gibt sie dem Helden ein Tuch mit, welches als Beweis seiner Glaubhaftigkeit dienen soll. Der Held selbst hat einen dringenden und nachvollziehbaren Grund für seinen Ritt (er will seine Stadt retten), und ich bin gespannt, ob der schwedische General rechtzeitig eintreffen wird. Unsere Heldin hingegen hält es für eine gute Idee, zwei Auftragsmördern in die Hände zu laufen, statt sich wie vereinbart in Sicherheit zu begeben. Den Grund für diese interessante Entscheidung erfahre ich nie! Wer kann sie retten? Natürlich unser Held, der seinen wichtigen Ritt unterbrach, weil ihn „so ein Gefühl“ beschlichen hatte. Danach ist von einer Information des Generals nicht mehr die Rede. So wichtig war das wohl doch nicht? Leiden die Hauptfiguren an ADHS oder – schlimmer noch – Demenz? Zum Glück kommt der besagte General von sich aus auf die Idee, in die Stadt zu reiten. Puh! Das ist ja gerade noch mal gut gegangen. Nun kann sich die Kronprinzessin, die sich lange als Page verkleidet hatte und endlich den Bösewicht (mit freundlicher Unterstützung des Helden) besiegen konnte, dem ganzen Heer und den Bürgern der Stadt zu erkennen geben. Inmitten der Bewunderung muss sie plötzlich weg, und ich frage mich warum. Drückt die Blase? Nein. Aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen hat sie ein Kleidchen mit in den Krieg genommen und möchte dieses jetzt unbedingt anziehen. Das ändert zwar nichts – aber wenigstens sieht sie jetzt mehr wie eine Prinzessin aus. Immerhin.
Durch solcherlei Absurditäten wurde ich im letzten Viertel so oft aus der Story gerissen, dass ich die Lust verlor, dieser weiter zu folgen. Ja – das Ganze war trotzdem unterhaltsam und sehenswert. Mich stört viel mehr, dass die Inszenierung durch solcherlei dramaturgische Bequemlichkeiten unter ihren Möglichkeiten geblieben ist. Mit größerer erzählerischer Sorgfalt wäre der Abend nicht nur zwanzig Minuten kürzer, sondern nahezu perfekt gewesen. Man verzeihe mir, dass ich über diese verpassten Gelegenheiten als Dramaturg und Künstler traurig bin.